- 1999 noch undenkbar: Japan begeht diesen Monat sein 20-jähriges Nullzins-Jubiläum
- Die Europäische Zentralbank (EZB) wartet weiter auf eine Erholung der Konjunktur und darauf, dass sich diese in höheren Inflationsraten widerspiegelt
- Mario Draghi wird als erster Präsident der EZB in die Geschichtsbücher eingehen, der in seiner Amtsperiode keine einzige Zinsanhebung vorgenommen hat
- Die Prognosen der Marktbeobachter haben sich zuletzt aufgrund des schwächelnden Wirtschaftsumfelds und politischer Risiken fast sprunghaft geändert
- In absehbarer Zukunft, also in den nächsten 12 Monaten, wird mit keiner Zinserhöhung gerechnet
- Für Anleger heißt es, sich weiterhin nach gewinnbringenden Anlageklassen umzusehen, wobei kein Weg an Aktien von hochqualitativen Unternehmen vorbeiführt
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Wenn Mario Draghi als Präsident der Europäischen Zentralbank im Herbst zurücktritt, wird er der erste EZB-Chef der Geschichte sein, der in seiner Amtsperiode keine einzige Zinsanhebung vorgenommen hat. Sein Name gilt inzwischen als Sinnbild einer ultralockeren Geldpolitik.
Derart niedrige Zinsen und derart viel Liquidität wie unter seiner Präsidentschaft, gab es in Europa noch nie. Bereits seit einiger Zeit fiebern Finanzmarktteilnehmer und auch Sparer einem ersten, lange erwarteten, Zinsschritt nach oben entgegen. Für viele Marktbeobachter besteht die Hoffnung, dass Draghis Nachfolger, welcher am 1. November das Amt übernehmen wird, eine Rückkehr zu geldpolitischer Normalität einleitet.
Instrumente der Zentralbank
Seit Mario Draghi im November 2011 das Amt bei einem Leitzinssatz von 1% übernommen hat, wurden die Zinsen in mehreren Schritten auf 0% gesenkt. Damit sollte erstens die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden und zweitens das Hauptziel der EZB, die Preisstabilität in der Eurozone, mit einer Inflationsrate von knapp unter 2% erreicht werden. Dies war allerdings bei weitem nicht die einzige Maßnahme, um gegen die Folgen der globalen Finanzkrise anzukämpfen. Der Einlagenzinssatz, dies ist jener Zinssatz zu welchem Geschäftsbanken ihre überschüssige Liquidität bei der Zentralbank veranlagen (können), wurde bereits 2014 in den negativen Bereich gesenkt. Dadurch sollte den Banken ein Anreiz geboten werden, ihr Geld an Unternehmen und Verbraucher weiter zu verleihen. Idealtypisch sorgt also ein niedrigerer Einlagenzins für eine Ausweitung des Kreditangebotes, wodurch die Wirtschaft im Normalfall angekurbelt wird. Allerdings ist trotz negativer Zinsen die Nachfrage der Banken nach dieser Einlagefazilität gestiegen. Haben nämlich Unternehmen oder Privathaushalte keinen Bedarf an einer Ausweitung der Kreditaufnahme bzw. hat die Bank bereits zu viele Risiken in ihren Büchern, kann selbst ein negativer Einlagezins die Kreditvergabe nicht stimulieren.
Die EZB benutzte auch ihre weiteren geldpolitischen Instrumente, wie den Spitzenrefinanzierungssatz und Hauptrefinanzierungsgeschäfte, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Da diese Maßnahmen nicht die gewünschten Erfolge brachten, haben die EZB-Volkswirte weitere Möglichkeiten erschaffen wie die "Gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (GLRG-II)", im englischen Original heißt es "targeted longer-term refinancing operations (TLTRO II)". Damit konnten Banken bis zu 30% des bisherigen Kreditvolumens als frisches Geld für vier Jahre zu einem Zinssatz von 0% von der Zentralbank ausleihen. Sollte damit das Kreditvolumen gesteigert werden, waren dann sogar Bonuszinsen möglich. Im Jahr 2020 endet das jetzige TLTRO II-Programm, welches ein Volumen von rund 750 Mrd. Euro ausstehend hat.
EZB stellt neue Anleihekäufe ein
Im März 2015 wurde mit der viel diskutierten Sondermaßnahme "Quantitative Easing" (also "Quantitative Auflockerung") - kurz "QE" - bzw. dem geldpolitischen Anleihekaufprogramm begonnen. Hier kam es bereits zu einer ersten kleinen Wende hin zu einer strafferen Geldpolitik: Die Zentralbank hat mit Jahresende 2018 beschlossen, kein neues Geld mehr in Anleihen zu investieren. Allerdings werden die Erträge aus Fälligkeiten bestehender Positionen für weitere Käufe verwendet. In den nicht ganz vier Jahren des Programms hat die EZB ihre Bilanz um rund 2,6 Billionen Euro vergrößert und damit mehr als verdoppelt. Durch die getätigten Käufe war sie der größte Nachfrager auf den europäischen Zinsmärkten und hat die Renditen über alle Laufzeiten bei Staats- sowie Unternehmensanleihen im Zaum gehalten. Das Auslaufen des Kaufprogramms hat wohl aber auch rechtliche Gründe, da die Zentralbank nicht mehr als ein Drittel aller ausstehenden Staatsanleihen eines Landes besitzen darf und nun bald an diese Grenzen stoßen würde.
Wie sich das Ende der Käufe an den Anleihemärkten genau bemerkbar machen wird ist noch ungewiss, da diese Situation zum ersten Mal in der Geschichte eintreten wird. Theoretisch sollte eine nachlassende Nachfrage einen direkten Effekt auf die Zinsen haben. In den USA, wo man Europa bei der Zinspolitik meist rund drei Jahre voraus ist, wurde das Ende der Anleihekäufe vom Markt relativ störungsfrei aufgenommen und auch die Anleihezinsen sind wie erwartet gestiegen.
Auswirkungen der Geldschwemme auf Konjunktur und Inflation
Was passiert wäre, wenn es keine "Quantitative Lockerung" gegeben hätte, ist unklar. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass damit ein relevanter Beitrag zur Rezessionsbekämpfung geleistet wurde. Natürlich sind dadurch Marktverzerrungen entstanden, die es in irgendeiner Form vermutlich auch bei anderen Strategien gegeben hätte. Wie stark der Effekt einer solchen Aktion wirklich ist, kann niemand genau sagen.
Jedenfalls hat sich die Inflationsrate, welche das maßgebende Ziel für alle Handlungen der EZB ist, von 0% im Jahr 2015 auf etwa 1,8% im Jahr 2018 erhöht. Auch der mittelfristige Trend hat bis vor Kurzem noch danach ausgesehen, als könnte diese Entwicklung weiter in Richtung 2% gehen. Seit November sind die Inflationserwartungen jedoch stark, nämlich in Richtung 1% gefallen und liegen damit wieder weit unter dem EZB-Inflationsziel von 2%. Die EZB erwartet für die nächsten drei Jahre ohnehin nicht die Erreichung des Inflationsziels - von daher spricht derzeit nichts für eine Zinserhöhung. Auch hat es den Anschein, als könnte es mit dem Konjunkturaufschwung der letzten Jahre vorbei sein. Im kommenden Jahr werde die Eurozone nur noch um 1,3% wachsen. Das sind 0,6% weniger, als die EU-Kommission noch im Herbst für 2019 in Aussicht gestellt hatte.
Optionen der Zentralbank
An den Finanzmärkten gibt es kaum ein größeres Risiko, als eine Zentralbank, der die Möglichkeiten ausgehen. Derzeit heizt die EZB Spekulationen an, wonach eine weitere Lockerungsrunde bevorstehen könnte, falls Konjunktur und Inflation sich nicht wie erhofft entwickeln. Dabei könnten wieder alle Instrumente eingesetzt und bei Bedarf auch angepasst werden, wobei laut Marktmeinungen insbesondere die Anleihekäufe erneut forciert würden.
Steigen die Zinsen?
Bis zum Herbst 2018 hat die EZB stets betont, die Zinsen bis über den Sommer 2019 nicht anzuheben. Die Analysten und Marktteilnehmer glaubten auch daran und gingen in ihren Prognosen bis vor Kurzem von einer ersten Anhebung im September 2019 aus. Eine robustere Euro-Konjunktur, die ansteigende Inflation und eine entspannte Schuldenkrise dämpften vermutlich die Nachfrage nach einer Fortsetzung der ultralockeren Geldpolitik. Tatsächlich stellte die EZB ihre Anleihekäufe Ende 2018 ein und die Finanzexperten diskutierten nur noch darüber, wann die erste Zinserhöhung stattfinden wird und wie viele folgen werden. Die Zinswende schien zum Greifen nah.
Doch in kürzester Zeit haben die politischen Risiken sowie Konjunktursorgen Oberhand gewonnen und die Meinungen haben sich geändert. Frühindikatoren, wie beispielsweise der ifo-Geschäftsklimaindex, sind stark geschrumpft und zeigen die mögliche Gefahr einer kommenden Rezession an. Die Erwartungen haben sich massiv verschlechtert und sind erstmals seit Dezember 2012 leicht pessimistisch. Schuld daran sind unter anderem die ungelösten Handelsprobleme, die Brexit-Debatte und weitere marktbeeinflussende Politthemen in Europa. Es wirkt so, als hätte die EZB den Zeitpunkt für eine Erhöhung übersehen. Einige Experten sind sogar der Meinung, dass wohl in schlechten Zeiten kaum mit einer Zinserhöhung gerechnet werden kann, wenn diese sogar in guten Zeiten verpasst wurde.
Die Prognosen der Marktbeobachter haben sich demnach fast sprunghaft geändert - in absehbarer Zukunft, also in den nächsten 12 Monaten, wird mit keiner Zinserhöhung mehr gerechnet. Es sieht also danach aus, als werde die EZB die Geldpolitik der weit vorgelaufenen US-Notenbank, mit ihren neun Zinserhöhungen plus eingeleiteter Liquiditätsverknappung, nicht nachahmen. Selbst in den USA scheint der Zinsanhebungszyklus bereits beendet. Das bedeutet, dass die Niedrigzinspolitik den europäischen Sparern und Anlegern noch lange Zeit erhalten bleiben wird - wie zuletzt auch Benoît Cœuré, Mitglied des Direktoriums der EZB, in einer Pressekonferenz bestätigte. Vielen Marktbeobachtern kommt dabei Japan in den Sinn: Das Land der aufgehenden Sonne begeht diesen Monat sein 20-jähriges Nullzins-Jubiläum - damals, also Ende der 1990er-Jahre, undenkbar.
Fazit:
Für die Märkte bleibt die wohl wichtigste Frage, wann die erste Zinsanhebung erfolgen wird. Die EZB wartet weiter auf eine Erholung der Konjunktur und darauf, dass sich diese in höheren Inflationsraten widerspiegelt. Derzeit stellen jedoch viele ungelöste Politthemen, wie etwa die Protektionismusdebatte und der Brexit, eine Gefahr für die globale Wirtschaftsentwicklung dar. Dadurch sind die Möglichkeiten weiterer geldpolitischer Maßnahmen der EZB eingeschränkt. Auch die Entwicklung der US-Geldpolitik kann nun nicht mehr als Blaupause dienen, da auch jenseits des Atlantiks das Umfeld schwieriger geworden ist und sich das Zinsniveau bereits am oberen Ende befindet.
Irgendwann werden die Zinsen - wahrscheinlich - wieder steigen, doch wann dies der Fall sein wird, ist ungewiss. Die Erwartungen der Marktteilnehmer für einen ersten Schritt noch in diesem Jahr liegen nur bei rund 30%, verschieben sich aber laufend. Für den 3-Monats-Euribor, welcher vielen Kreditnehmern als Referenzzinssatz dient, werden erst im Sommer 2021 wieder positive Werte erwartet. Auch die langfristigen Zinsen sollten in absehbarer Zeit nicht nennenswert steigen, was bedeutet, dass sich Gewinne bei "sicheren" Anleihen in Grenzen halten werden. Für Anleger heißt es, sich weiterhin nach gewinnbringenden Anlageklassen umzusehen, wobei kein Weg an Aktien von hochqualitativen Unternehmen vorbeiführt.
Autor:
Daniel Schwaninger, MBA
Asset Management
Schoellerbank AG
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Marcus Hirschvogl, BA
Pressesprecher
Schoellerbank AG
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